Plakatkampagnen III: Erster Fünfjahrplan als Werbeobjekt

"Für uns besteht jetzt die außerordentlich große Notwendigkeit, die Ideen des sozialistischen Aufbaus im Bewußtsein der breiten Massen der Werktätigen zu verbreiten und einzupflanzen. Es ist notwendig, daß jeder Arbeiter, Lehrer, Leiter einer Dorflesestube, Kolchosbauer, die rückständigste Bäuerin und die junge heranwachsende Generation in allen Winkeln der UdSSR weiß, was der Fünfjahrplan ist, wie wir für ihn kämpfen, was unsere Errungenschaften sind. (...) Es ist notwendig, daß die Entschlüsse von Partei und Regierung, die Vorschläge der Stoßarbeiter und die Aufrufe der fortschrittlichsten Fabriken in die entferntesten und tauben Winkel unserer Union dringen, jedem Werktätigen verständlich werden und seinen Wunsch nach energischer Teilnahme am neuen Aufbau entfachen." {Герценберг В. Плакат о политпросветработе. М.; Л., 1932, С. 12}
Die Forderungen der Kritikerin V. Gercenberg (1932) verdeutlichen, wie vielfältig die Anforderungen an Agitation und Propaganda vor dem Hintergrund des Ersten Fünfjahrplans waren. Der Plan sollte vor allem das Fundament einer sozialistischen Wirtschaft legen. Diese gewaltige Herausforderung bestimmte auch die zentralen Inhalte der Agitationskunst, in der der Fünfjahrplan als "Meilenstein der wirtschaftlichen, politischen und historischen Entwicklung" des Landes eine dominierende Stellung einnahm. Im Plakat griff man dazu auf bewährte Symbole zurück, so etwa auf das Schiff oder die Lokomotive, die jetzt von der Station "Sozialismus" zur Station "Kommunismus" fuhr.
Stalin, in der Rolle des Kapitäns oder des Lokführers, war dabei Garant für die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges und dessen Vollendung. Besonders hervorgehoben wurde auch die internationale Bedeutung des Fünfjahrplans, der als Wettlauf der UdSSR mit der kapitalistischen Welt ausgegeben und als Chance, diese in technisch-wirtschaftlicher Hinsicht hinter sich zu lassen, propagiert wurde. Die Losung "Einholen und überholen" stand hierfür stellvertretend.
Die Entwicklung der Industrie, insbesondere der Rüstungsindustrie, hatte zudem eine prinzipielle Bedeutung für den Widerstand gegen die "äußeren Gegner". Ganz in den Traditionen des Bürgerkriegs wurde die Sowjetunion als Festung gezeigt, die sich zwar noch im Aufbau befand, für den "Feind", sei es der "internationale Imperialismus", der Faschismus oder die (katholische) Kirche, dennoch uneinnehmbar war (K. Eliseev, Siegeszug des Fünfjahresplanes). Die Zweifel des Westens an der Durchführbakeit des Plans wurden in zahlreichen satirischen Werken verspottet.
Die Agitation für den Fünfjahrplan schloß auch eine Darstellung bereits errungener Erfolge ein. Die Losungen "Den Fünfjahrplan in vier Jahren", "Das dritte, entscheidende Jahr" dienten zur Mobilisierung, indem sie auf bisherige Errungenschaften verwiesen; einzelne Produktionsziffern machten dabei häufig eine weitergehende Kommentierung überflüssig. Das Plakat übernahm teilweise die Funktion von Zeitungen und Lehrmaterialien: in das Plakat integrierte Tabellen, Diagramme, Graphiken und Zahlenangaben sollten der Bevölkerung erklären, in welchem Tempo und in welchen Dimensionen "die Errichtung des Fundaments der sozialistischen Wirtschaft" voranschreitet und welche positiven politischen Konsequenzen dies vor allem in außenpolitischer Hinsicht zeitigt.
Die Plakate informierten aber nicht nur, sondern appellierten auch an den Betrachter, sich am Aufbau aktiv zu beteiligen, sie riefen zu erhöhtem Arbeitstempo auf, zur "Liquidierung von Störungen", sie forderten auf, die Zurückgebliebenen "ins Schlepptau" zu nehmen, den Donbass zu mechanisieren, dem Ural-Kuzbass proletarische Kader zur Verfügung zu stellen und den Wettbewerb zu fördern. Es wurden ganze Plakatserien herausgegeben, die dem Fünfjahrplan (G. Klucis) bzw. der Entwicklung einzelner Produktionszweige (D. Bulanov) gewidmet waren. Die Umwandlung eines agrarischen Landes in ein industrielles war damit Hauptthema politischer Pllakate in der ersten Hälfte der 1930er Jahre.
Der Fünfjahrplan bewirkte nicht nur eine Umwandlung der Wirtschaft des Landes, sondern auch eine Veränderung des Menschenbildes: für den sowjetischen Menschen wurde Arbeit jetzt eine "Sache der Ehre, des Ruhms, der Tapferkeit und des Heldentums". Diese pathetischen Zuschreibungen kamen vor allem in Plakaten zum Ausdruck, die das beeindruckende Ausmaß der Aufbauarbeit illustrierten und einen neuen heroischen Protagonisten zeigten, den "das Land kennen muß".