Die Photomontage der frühen 30er Jahre

Die Photomontage, die mit Arbeiten A. Rodčenkos, L. Lisickijs und G. Klucis in den 1920er Jahren eine erste Blüte erreichte, erlebte zu Beginn der 1930er Jahre einen erneuten Aufschwung. Auslöser für diese Entwicklung war der Erste Fünfjahrplan und die damit verbundenen Industrialisierungs- und Kollektivierungsmaßnahmen. Viele Künstler stellten sich, beeindruckt vom Ausmaß des Vorhabens, in den Dienst dieser Politik. Nach Auffassung dieser Künstler bestand die Funktion der Kunst während der Industrialisierungsphase im Dienst an der Industrie. "Die neuen sozialen Aufgaben und der Klassenkampf, die Aufbauprojekte, die sozialistischen Giganten forderten neue Methoden der Gestaltung, objektive, dokumentarische. Gefordert war eine mit Apparatur und Chemie ausgerüstete Kunst. Gefordert war eine Kunst auf dem Niveau der sozialistischen Industrie. (...) Ein neuer Künstlertyp war nötig, der auf neue Weise, mit neuen Methoden, neuer Technik arbeitete. Nötig war insbesondere die Photomontage" {Клуцис Г. Г. Фотомонтаж как средство агитации и пропаганды // За большевистский плакат. М.; Л., 1932. С. 87}, so erklärte G. Klucis, prominentes Mitglied der Künstlergruppe "Oktjabr'" und Hauptvertreter der politischen Photomontage, die Aufgaben des Plakates.
Dabei ging er in kunsttheoretischen Auseinandersetzungen mit anderen Künstlern und Kritikern sogar so weit, die Liquidierung "des alten Systems der Plakatkomposition, das auf ästhetischen Prinzipien basiert" zu fordern. Als konstitutive Merkmale seiner Methode bezeichnete Klucis den freien Umgang mit Maßstäben und Proportionen anstelle einer "traditionellen und beschränkten Perspektivität", expressive Formenkonstraste sowie die Montage von Photographien auf farbigem Hintergrund. Diese Verfahren wurden auch von Künstlern wie S. Sen'kin, V. Kulagina, V. Elkin und N. Pinus eingesetzt. Das Photomontage-Plakat, in dem sich das Dokumentarische der Photographie mit der Metaphorik des Plakates verband, prägte in nicht geringem Maße die enthusiastische Einstellung großer Teile der Bevölkerung gegenüber den staatlichen Aufbauprojekten.
In einer Vielzahl von Photomontagen wurden diese Projekte dargestellt und ihre gewaltigen Dimensionen hervorgehoben. So schuf Klucis eine aus 33 Einzelplakaten bestehende Serie mit dem Titel "Der Kampf für den Fünfjahrplan" (1929 - 1931), zu denen bekannte Werke wie "Millionen Arbeitskader", "UdSSR ist die Bestarbeiterbrigade", "Plan der großen Arbeiten" u.a. gehörten.
Trotz ihres ästhetischen und agitatorischen Potentials wurde die Photomontage von zahlreichen Künstlern und Kritikern abgelehnt. Sie bezeichneten die Photomontage als "formalistisch", kritisierten eine "nur mechanische Kombination verschiedener Ausgangsmaterialien" sowie das Fehlen einer logischen Verbindung zwischen Darstellung und Losung. In der Diskussion "Die Aufgaben der Bildenden Kunst im Zusammenhang mit der Resolution des ZK der VKP/b über die Plakat-Literatur" (1931) sah sich Klucis daher gezwungen, die Photomontage als dennoch effektives Mittel der politischen Propaganda zu verteidigen.
Mitte der 1930er Jahre wurde Klucis jedoch auch selbst mit den Grenzen der von ihm entwickelten Methode konfrontiert. In seinen Arbeiten machten sich kompositorische Redundanz, zunehmender Schematismus und auch ein Rückfall in traditionelle Darstellungsverfahren bemerkbar.
Trotz ihrer vergleichsweise kurzen Hochphase übte die Photomontage großen Einfluß auf das Plakat der 1930er Jahre aus. Durch die Integration von dokumentarischen Elementen führte sie das Plakat in die Richtung realistisch-mimetischer Wirklichkeitskonzepte und bereitete damit indirekt auch den Sozialistischen Realismus vor.