1910. Industrie und Arbeiterschaft Anfang des 20. Jahrhunderts

Das wirtschaftliche Wachstum Rußlands - im übrigen von ständigen Einbrüchen und Krisen begleitet - ist auf dem Hintergrund der sich stetig zuspitzenden sozialen Lage, insbesondere der russischen Arbeiterschaft, zu sehen.
Die Industriearbeiter stellten 1913 zwar nur 3 % der Bevölkerung des Russischen Reiches, waren aber regional stark konzentriert (Moskau, St. Petersburg, Ivanovo, Tula, Ural-Gebiet). In kasernenartigen Unterkünften waren diese meist ehemaligen Bauern unter katastrophalen Bedingungen untergebracht. Eine soziale Absicherung der Arbeiter existierte praktisch nicht, Rußland hatte den längsten Arbeitstag in Europa bei gleichzeitig minimaler Entlohnung, von der die Arbeiter in der Regel nur das nackte Überleben bestreiten konnten. Eine rigide Arbeitsgesetzgebung mit drakonischen Geldstrafen trug dazu bei, den ohnehin geringen Lohn weiter zu mindern.
Immer wieder aufflackernde Streiks waren daher in den ersten Jahren nach 1900 an der Tagesordnung. Die Kaufkraft unter der russischen Land- und Stadtbevölkerung war derart gering, daß die russische Wirtschaft bei einem Rückgang der Staatsaufträge sofort heftige Produktions- und Absatzeinbußen erlitt. Die so entstandene Armee der Tagelöhner und besitzlosen Arbeiter stellte ein zunehmend revolutionär gestimmtes Konfliktpotential dar, dessen die zaristische Geheimpolizei immer weniger Herr wurde.