Filmplakate seit den 50er Jahren

Die innenpolitischen Liberalisierungstendenzen der "Tauwetter"-Periode (1954 - 1964) ließen Hoffnungen auf eine freiere Kunst und Literatur aufkommen. Im Bereich der Plakatgestaltung machten sich diese Veränderungen zuerst im Filmplakat bemerkbar, die aber auch durch neue Tendenzen in der Filmproduktion selbst motiviert waren.
Das Filmwesen wies zu diesem Zeitpunkt zwei gegensätzliche Strömungen auf. Das "erzählende" Kino zeigte den Menschen in seiner psychischen Komplexität und in seinen vielfältigen sozialen Beziehungen. Auf diese Weise sollte ein möglichst realistisches Bild des sowjetischen Alltags gezeichnet werden. Der "poetische" Film thematisierte dagegen in erster Linie Momente des Umbruchs und extreme Lebenssituationen. Charakteristisch für diesen Filmtyp waren Bilder mit ausgeprägt symbolhafter Wirkung sowie außergewöhnliche Kameraperspektiven.
Das "Tauwetter" ermöglichte den Plakatkünstlern ein unabhängigeres Arbeiten und einen freieren Umgang mit den Vorgaben aus den Filmen. An der Spitze dieser Entwicklung standen Künstler wie S. Dackevič, V. Kononov, B. Zelenskij, M. Chazanovskij, E. Grebenščikov, Ju. Carev u.a. Die Plakatkünstler, die sich eher auf das "erzählende Kino" konzentrierten, verwendeten in zunehmendem Maße Formen der Staffeleimalerei. B. Zelenskij, V. Kononov, A. Šamaš, V. Sačkov und Ja. Manuchin entwarfen für die Filme eigenständige Plakat-Landschaften. Sie lösten sich von direkten gestalterischen Vorgaben des Films, indem sie komplexe Faktur- und Farbgestaltungen fanden, Applikationen einsetzten und sogar zerknittertes Photopapier als Material verwendeten. Auf diese Weise entwickelten die Künstler eine Vielfalt von Ausdrucksmitteln, die von verfeinerter Maltechnik (Ju. Carev: Weiße Nächte) bis zu reduktionistischen Techniken reichte.
Die Ästhetik des "poetischen" Kinos führte die Künstler indes zur künstlerischen Allegorie zurück. War die Montage typisch für das Filmplakat der 1920er Jahre, so prägte die Metapher den Stil der Filmplakate der "Tauwetter"-Periode. Metaphorisch waren sowohl Inhalt, Komposition als auch Graphik bei Ju. Carev (Wir Wunderkinder) und M. Chejfic (Alles Gold dieser Welt). Dem 'metaphorischen Denken' entsprangen auch neue Gestaltungsverfahren.
Anfang der 1960er Jahre bildete sich eine Gruppe junger Künstler, u.a. M. Luk'janov, V. Ostrovskij, L. Levšunova und V. Karakašev, die maßgeblich von internationaler Plakatkunst, vor allem aus Polen, beeinflußt war. Diese Gruppe schuf einen eigenen Plakatstil, der sich durch eine bewußte Auseinandersetzung mit graphischen Gestaltungsformen auszeichnete. Auf diese Weise entwickelten sie innovative Verfahren zur Beschreibung des sowjetischen Alltages (V. Ostrovskij: Neun Tage eines Jahres) und kreierten ein Plakat, das sich vor allem an einen intellektuellen Betrachter wandte. Wie schon in den 1920er Jahren kam auch dem Filmplakat der "Tauwetter"-Periode eine Vorreiterrolle bei der Suche nach einer neuen Bildsprache im Plakat zu.