Feindbilder II (Faschismus, "Schädlinge", 30er/40er Jahre)

Mit der Oktoberrevolution hatte sich eine feste Feindbildtradition im sowjetischen Plakat herausgebildet. Zum Repertoire gehörten Bildkonzepte des "Kapitalisten" als Vertreter der bürgerlichen Schichten im In- und Ausland, militärische Gegner wie die Generäle der "Weißen" Armeen und der Entente sowie Gruppen im eigenen Land, die man als Gefahr für die Revolution ("klassenfremde Elemente") ansah.
Anfang der 1930er Jahre schürte man intensiv die Angst vor "inneren" und "äußeren Feinden". Für das Plakat galt die Vorgabe: „(...) das Plakat muß nicht nur den Arbeiter als Erbauer des Sozialismus wiedergeben [...], es muß auch das Gesicht unserer Feinde enthüllen, Mittel und Formen des Kampfes der Konterrevolutionäre gegen die Revolution aufdecken." {Арнстова П. Индустриальный плакат // За большевистский плакат. М., 1., 1932. С. 26} Diese Forderung war immer häufiger zu hören, nachdem Stalin 1930 die These von der "Verschärfung des Klassenkampfs" verkündet hatte. Der "äußere Feind" bestand vor allem in der "kapitalistischen Einkreisung". Zu seiner Verbildlichung setzte das Plakat diejenigen Merkmale ein, die ein Jahrzehnt zuvor in den Pakaten von V. Deni, D. Moor oder M. Čeremnych entwickelt worden waren.
Faschismus in Italien und Nationalsozialismus in Deutschland führten zu einem neuen Feindbild, das sich an das vorhandene Bildkonzept des Kapitalismus anschloß. Interessanterweise wurden Faschismus und Nationalsozialismus zunächst als politische und soziale Phänomen durch Hyperbeln und Allegorien vermittelt, wobei man auf bekannte Motive zurückgriff (B. Prorokov, Faschismus ist der Feind der Kultur). Konkrete historische Akteure blieben unberücksichtigt, das Feindbild daher recht unspezifisch. Diese Unschärfe geht auch auf ideologische Unsicherheiten der sowjetischen politischen Führung zurück, die die volle Gefahr, die etwa von den Rassetheorien der Nationalsozialisten ausging, nicht adäquat einzuschätzen wußte. Das außenpolitische Feindbild war daher eine direkte Fortsetzung der hochgradig schematischen 'Kapitalismus-Bilder' der 1920er Jahre. Hinzu kam, daß das gesamte sowjetische Feindbildrepertoire durch das Stilmittel der Satire geprägt blieb, dämonische Perhorreszierung, wie etwa im nationalsozialistischen Plakat, blieben die Ausnahme.
Seit dem Beginn des Spanischen Bürgerkrieges wurden immer mehr Plakate zum Faschismusthema gestaltet. Schließlich verloren sogar die Konflikte zwischen der Sowjetunion und der Mandschurei sowie Japan und Finnland als Plakatthemen an Bedeutung.
Die "inneren Feinde" hatte Stalin als "Überbleibsel der feindlichen Klassen" in Wirtschaft und Partei charakterisiert, die angeblich durch "Sabotage", "Schädlingstätigkeit" und Diebstahl den sowjetischen Staat zu schädigen versuchten. Die Heterogenität der "antisowjetischen Elemente" verhinderte, ein einheitliches und zugespitztes Feindbild zu entwerfen. Häufig entstanden so 'Gruppenportraits', die sich aus unterschiedlichen "Schädlingen" (Kulaken, Spekulanten, NEP-Männer) zusammensetzten, so zum Beispiel in dem Plakat "Stalins Pfeife" von V. Deni. Dabei waren die Unterschiede der gruppenspezifischen Merkmale zwischen den "Feinden" so gering, daß selbst ein erfahrener Plakatkünstler wie Deni die Figuren mit erklärenden Aufschriften versehen mußte.
Aus der Bandbreite der "inneren Feinde" stach vor allem die Figur des "Kulaken" hervor, die M. Čeremnych, V. Govorkov (Kolchosbauer, schütze deine Felder) und I. Gromickij (Kolchosernte ist ein Schlag) bevorzugt als Plakatthema verwendeten. Außerdem fielen auch Personen in diese Kategorie, die in Industrie und Landwirtschaft nicht die Normvorgaben erfüllten oder durch mangelnde Arbeitsdisziplin auffielen. Mit dem Ziel, diese Personen auch individuell zu stigmatisieren, hatte N. Koršunov in seinem Plakat "Ausschuß ist ein Geschenk an den Klassenfeind" unter der Überschrift "Ich bin ein Feind" eine Stelle ausgespart, in die nach Aufhängen des Plakats die Namen der 'Schädlinge' eingetragen werden sollten.
Die gegen vermeintliche "innere Feinde" gerichteten Bilder trugen nicht unwesentlich zur Spionomanie dieser Jahre bei. Im Gegensatz dazu sollten die außenpolitischen Feindbilder bald durch die Realität eingeholt werden. Der Zweite Weltkrieg bewirkte eine Konkretisierung: der Feind war nicht mehr nur das abstrakte Böse in bekannter symbolischer Visualisierung, sondern ein durch die militärische Realität vermittelter mordender Soldat und Eroberer. Das 'blutbeschmierte Bajonett' und die von den deutschen Truppen hinterlassene Spur der Vernichtung wurden zu festen Motiven. Satirische Merkmale ließen den Gegner indes oft auch eher lächerlich als furchteinflößend wirken.
Satirische Interpretation des Feindes bedeutete, daß der Gegner entweder in Unterlegenheitsposen oder aber als tölpelhaftes, großmäuliges Wesen charakterisiert wurde. Beide Bildkonzepte waren nicht dazu geeignet, den Gegner zu dämonisieren oder perhorreszieren. Feindbilder sollten daher vor allem die Identifikation mit der eigenen Seite stärken und nur in selteneren Fällen einen Abschreckungseffekt hervorrufen. Zwar wurde durchgehend bis zum Ende des Kriegs der Feind als grausam und raubgierig präsentiert; dieses Feindbild differenzierte sich jedoch nach 1943, als man 'Urheber' und 'Ausführende' des Kriegs zunehmend zu unterscheiden wußte. So wurde bereits 1943 auf dem Plakat der Kukryniksy "Die Verwandlung der Fritze" die Figur Hitlers und die der 'einfachen Soldaten' unterschiedlich bewertet. Die deutschen Soldaten, ein Novum für das Feindbild, werden selbst als 'Opfer' der Hitlerschen Agressionspolitik gezeichnet und fast bedauert. Diese Unterscheidung zeigte, daß ein globales, antideutsches Feindbild in Rußland nicht existierte und man sich ab 1943 mehr und mehr auf die Person Hitlers und die nationalsozialistische Führung konzentrierte.