Stilkunde III: Kubofuturismus

Der Kubofuturismus durchlief eine ähnlich Entwicklung wie auch der Suprematismus. Die künstlerische Richtung entstand bereits in den Jahren des Ersten Weltkrieges, stieß aber, wie auch andere Tendenzen der Avantgardekunst, nur auf ein geringes Breiteninteresse.
Die Unkonventionalität der plastischen Sprache mit ihren auf geometrische Grundformen reduzierten Elementen, die neue Dynamik der Flächen- und Raumgestaltung blieb vor allem unter traditionellen, dem Jugendstil zuzurechnenden Plakatkünstlern weitgehend unverstanden. Nach der Revolution bestimmte diese künstlerische Richtung jedoch den Stil von zwei Plakatschulen (Kostroma, Petrograd).
In Kostroma wurde die örtliche Abteilung der ROSTA-Fenster von dem bekannten Graphiker N. Kuprejanov geleitet. Zusammen mit ihm arbeiteten N. Isnar und Ju. Bondi, ein talentierter Theaterkünstler. Von ihm stammte das expressive, im kubofuturistischen Stil geschaffene Plakat “Einhundertster Jahrestag". Die Figuren des Arbeiters und des Bauern sind von extremer Kraft, Energie und revolutionärer Begeisterung geprägt, gerade diese Eigenschaften fehlten anderen Plakaten zu diesem Thema. Aber auch die im kubofuturistischen Stil in Kostroma und Vitebsk geschaffenen Plakate wurden vom Publikum nicht immer verstanden, wie Reaktionen von Arbeitern zum 1. Jahrestag der Revolution in Vitebsk zeigten. Kubofuturistische Plakate waren daher eher Einzelfälle, wenn auch aus heutiger Sicht von hohem künstlerischen Wert. Ebenso wie das Plakat 'Mit dem roten Keil' von L. Lisickij ist das Werk von Ju. Bondi eine singuläre Erscheinung, aber ein Zeugnis dafür, daß durch Elemente und Stilformen der Avantgarde die Möglichkeiten der Plakatkunst erheblich erweitert werden konnten. In Petrograd wurden kubofuturistischen Ansätze von Künstlern der örtlichen Abteilung der ROSTA-Fenster entwickelt. V. Lebedev war hier einer der ersten und wenigen Plakatkünstler, dem ein ganzer, im kubistischen Stil geschaffener Bereich sowjetischer Plakatkunst zu verdanken ist. Durch eine radikale, bis zur geometrischen Grundform getriebene Abstraktion und klare, symbolhaft verwendete Farben wirken seine Figuren monumental und kraftvoll. Die PeterburgROSTA waren damit kunstgeschichtlich das Spannenste, was die frühe sowjetische Plakatkunst ingesamt zu bieten hatte. Ihre Klarkeit und Modernität sollte - auch vor dem Hintergrund der weiteren Plakatentwicklung im 20. Jahrhundert - nie wieder erreicht werden.