1937. Schauprozesse und "Säuberungen" der 30er Jahre

Zur Rechtfertigung innenpolitischer Repression, zur Durchsetzung zentralistischer Methoden in der Wirtschaft sowie zur Legitimation von Zwangsarbeit wurde in den 30er Jahren eine Reihe von Schauprozessen inszeniert, bei denen gegenüber der Bevölkerung und den Führungseliten der Eindruck vermittelt werden sollte, von einer unerkannten äußerst großen Gruppe von "Feinden" im Inneren und Äußeren umgeben zu sein, denen man die Mißerfolge in Industrialisierung und Kollektivierung zuschreiben konnte.
Zunächst hatte Stalin nach dem von ihm mitveranlaßten Mord an dem Leningrader Parteisekretär Sergej Kirov die alte Partei-Elite aus ihren Führungspositionen entfernen und physisch liquidieren lassen. Von den 1966 Delegierten des 17. Parteitags (1934) wurden 1108 konterrevolutionärer Verbrechen beschuldigt und verhaftet, 70 % der Kandidaten und Mitglieder des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei wurden in den Jahren 1937/38 ermordet.
Den Auftakt zu den Schauprozessen der späten 30er Jahre stellte der Prozeß gegen die Leitung der Kohlegruben von Šachty (1928) dar, dem Prozesse gegen die sogenannte "Industriepartei" (1930) und das angebliche "Bundesbüro der Menševiki" (1931) folgten.
In der zweiten Hälfte der 30er Jahre folgten dann weitere Schauprozesse, bei denen die gesamte "alte Garde" der Partei, Mitstreiter Lenins und Revolutionäre der ersten Stunde, mit absurden Vorwürfen konfrontiert und nach durch Einschüchterung und Folter erzwungenen "Geständnissen" zum Tode verurteilt wurden.
In den Prozessen gegen das "Trotzkistisch-Zinowjewistische Terroristische Zentrum" (August 1936), das "Antisowjetische Trotzkistische Zentrum" (Januar 1937) und den "Antisowjetischen Block der Rechten und Trotzkisten" (März 1938) wurden bekannte und in der Partei beliebte Politiker wie G. E. Zinov'ev, L. B. Kamenev, J. L. Pjatakov, K. B. Radek, N. I. Bucharin, A. I. Rykov und viele andere verurteilt und erschossen.
Ein besonders harter Schlag traf auch die sowjetische Armee. Dabei richtete sich die Verfolgung nicht nur auf die oberste Spitze (3 von 5 Marschällen, 13 von 15 Armeebefehlshabern, 110 von 195 Divisionskommandeuren), sondern auch auf Offiziere, von denen insgesamt ca. 40.000 das Leben verloren.
Wieviele Menschen in den Repressions- und Säuberungswellen umkamen bzw. in das System der Arbeitslager (GULAG) eingewiesen wurden, ist noch nicht abschließend geklärt. Schätzungen schwanken hier zwischen 2 und 20 Millionen. Nach neuesten Daten ist zwischen 1927 und 1939 ein Bevölkerungsverlust von ca. 12 Mio. Menschen zu verzeichnen, wobei Verluste durch Hungersnöte (1932: 5 Mio.) noch einzubeziehen sind.
Verfolgungen und Säuberungen fanden einen direkten Widerhall im Plakat. Das Plakat forderte ultimativ zur erhöhten "Wachsamkeit" gegenüber "feindlichen Umtrieben" auf, überzog die in politische Ungnade gefallenen Führungskader der UdSSR mit Hohn und Spott und beteiligte sich an der visuellen Vorverurteilung und somit auch der Vernichtungspolitik der Partei. Auf Plakaten wurde auch die Funktion der staatlichen Sicherheitsbehörden (GPU-OGPU-NKVD) als Instrument im innersowjetischen "Klassenkampf" gelobt, der sich laut einer Äußerung Stalins seit Beginn der 30er Jahre noch verschärft habe.
Agitation gegen vermeintlich omnipräsente "innere und äußere Feinde" war damit an der Tagesordnung. So wurde nicht nur das bereits in den 20er Jahren vorhandene sowjetische Feindbild reaktiviert, die alte politische Elite, die nunmehr in die Verfolgungen einbezogen wurde, führte auch zu neuen, jetzt innenpolitischen Feindbildern. Dabei unterstellte man den Gegnern Verbindungen zum nationalsozialistischen Deutschland, als dessen "Agenten" die Betroffenen ausgegeben wurden, oder richtete den Bannstrahl auf den "Feind" an sich, der vermeintlich die Grundlagen des sowjetischen politischen oder wirtschaftlichen Systems zu unterminieren trachtete.
Aufgabe dieser Propaganda war die Schaffung eines umfassenden Gefühls der Bedrohung und der Unsicherheit, vor dessen Hintergrund die Solidität der Sicherheitsorgane und der Politik Stalins selbst kontrastiert werden sollte. Angst wurde damit zu einer komplementären Stimmung, mit deren Hilfe die Beeinflußbarkeit der Bevölkerung möglichst hoch und vollständig der Parteikontrolle unterstellt bleiben sollte.