1936. Die neue sozialistische Stadt

Die Stadt Moskau erfuhr in den 30er Jahren eine stürmische Entwicklung. 1917 verzeichnete die Stadt noch 2 Mio. Einwohner. Als Folge des Bürgerkriegs sank diese Zahl jedoch auf 800.000. Moskau bestand weitgehend aus zweigeschossigen Häuserzeilen, sieht man von dem um die Jahrhundertwende entstandenen, an die "Gründerzeit" erinnernden Zentrum ab. Außerdem bestand Moskau noch aus vielen Holzhäusern und ausgesprochenen Armutsvierteln.
Mit der Neuen Ökonomischen Politik erholte sich die Stadt schnell.1923 stieg die Einwohnerzahl wieder auf 1,5 Mio., 1926 lag sie bereits bei 2 Mio. Einwohnern. In diesen Jahren nahmen auch städtische Auto- und Trolleybusse neben Straßenbahnen wieder den Betrieb auf und trugen so zur Normalisierung des Verkehrssystems bei. Durch den Wiederaufbau der Industrie wurden mehr und mehr landwirtschaftliche Arbeitskräfte aus der Umgebung Moskaus abgezogen. Es bildete sich ein neues Arbeitskräftepotential heraus, für das in kurzer Zeit der nötige Wohnraum geschaffen werden mußte. Man begegnete diesem Problem durch die Umwandlung von ehemals großbürgerlichen Wohnung, die, zu sogenannten "Kommunalwohnungen" umfuntioniert, jetzt Platz für mehrere Familien bieten mußten. Ebenfalls verschwanden viele Kirchen oder wurden zu Lagerhäusern oder Profanbauten umgestaltet.
In der Zeit des Ersten Fünfjahrplans wurde das Stadtgebiet Moskaus neu gegliedert. Zwischen 1929 und 1931 stieg, bedingt durch die in Moskau angesiedelten Industrieunternehmen, die Einwohnerzahl dramatisch von 2,3 Mio. auf 3,6 Mio. Menschen an. Spürbar wurde hier auch die beginnende Verstaatlichung von Industrie und Gesellschaft, die eine Fülle von Verwaltungseinrichtungen mit ihren großen Mitarbeiterstäben nach sich zog. 1931 wurde daher ein Übergangsplan zur Umgestaltung Moskau beschlossen, der 1935 in den "Generalplan zur Rekonstruktion Moskau" einging. Planziel war, die Rückständigkeit in urbanen Strukturen und Versorgungseinrichtungen zu überwinden und die Defizite im Wohnungs- und Straßenbau zu beheben.
Zu den Prestige-Objekten dieser Umgestaltung Moskau gehörte die Untergrundbahn ("Metro"), deren erstes Teilstück 1935 eröffnet wurde. Außerdem legte man eine Vision gigantomanisch gestalteter Straßenzüge und Prachtmeilen vor, in denen die Utopie des zentralistischen, totalitären Staates architektonische Formen annehmen sollte. Ein neuer stalinischer Baustil ("Zuckerbäckerstil") bestimmte dabei das Stadtbild, dem ganze alte Stadtteile, darunter auch bedeutende Kirchen (z.B. die Erlöserkathedrale) und Klosteranlagen, zu weichen hatten. Das neue Moskau sollte damit nicht nur zu einer modernen Stadt in ihrer innerstädtischen Verkehrsstruktur und Kommunikation werden, es sollte auch den geordneten, zentralen Ort darstellen, an dem der Aufbau des Sozialismus sichtbare Gestalt annahm. Neue Parkanlagen und Freizeitzentren enstehen, spezielle Begrünungsprogramme sollen den Eindruck einer harmonischen Verbindung von Arbeit, Wohnen und Natur hervorrufen.
Das Stadtbild Moskaus sollte damit auch zum architektonisch vermittelten Mythos sozialistischer Urbanität beitragen. Jedoch wurden die meisten der geplanten Großbauten nicht errichtet, da der Zweite Weltkrieg diese Pläne vorerst beendete. Dennoch verlor Moskau sein traditionelles, durch die russische Geschichte geprägtes Aussehen und wurde zum Hauptaushängeschild für sozialistische Stadtgestaltung, die ihrerseits prägend für die architektonische Umgestaltung anderer sowjetischer Großstädte wurde.