1932. Die neuen Feindbilder der 30er Jahre

Die 20er Jahre verliefen im Zeichen des innenpolitischen Kampfes mit zahlreichen Gruppierungen: Menschewiki, rechte Sozialrevolutionäre, die sogenannten "Smenavechovcy", die sich im Zusammenhang mit der NÖP der Illusion einer demokratischen Entwicklung der Sowjetmacht hingegeben hatten, religiöse Gruppen, schließlich sogenannte "trotzkistisch-zinovevistische" sowie "rechte" Gruppierungen innerhalb der VKP/b selbst - sie alle prägten das innenpolitische Feindbild der Bolschewiki im ersten Jahrzehnt des neuen Staates.
In den 30er Jahre wurden neue Wege eingeschlagen, die Unzufriedenheit und den Protest der Massen zu kanalisieren: "Unzuverlässige" Genossen der Partei selbst, "Schädlinge", "Spione", "Pfuscher und Müßiggänger", "Banditen und Rowdys", selbst verschiedene "asoziale Elemente" wie Alkoholiker, Prostituierte und Berufsbettler wurden nun zu Schuldigen für die verschiedenen Krisensituationen, Schwierigkeiten und Mißerfolge erklärt.
Alle diese Gruppen fielen unter die unselige Bezeichnung "Volksfeinde", mit der selbst die schärfsten staatlichen Repressionsmaßnahmen legitimiert wurden. Bis zum Jahr 1932 belief sich so die Zahl der Angestellten und Bediensteten, die unter Kontrolle des Staates und seiner wachsamen "geheimen Mitarbeiter" aus der Bevölkerung, den sogenannten "Seksoty", standen, auf insgesamt 1,2 Millionen. Aus dem Kreis der so kontrollierten Personen verloren 138.000 ihre Arbeit, 23.000 zusätzlich die bürgerlichen Ehrenrechte, einige Tausend wurden wegen "antisowjetischer Tätigkeit" inhaftiert.
Anfang der 30er Jahre nahmen die Verhaftungen zu; Hunderttausende von Bauern, Opfer der Kollektivierungspolitik, aber auch Parteimitglieder und Angehörige von Intelligencija, Armee und Sicherheitsdiensten, wurden verhaftet, oftmals erschossen oder zu langjähriger Lagerhaft verurteilt. Der "Archipel GULAG", das System der Straf- und Arbeitslager" füllte sich mehr und mehr und überzog das Land mit einem dichtgespannten Netz von Einrichtungen.
In den 30er Jahren führte man ebenfalls eine Reihe von Parteisäuberung durch, in deren Folge 40% der Mitglieder aus der Partei ausgeschlossen wurden. Ihren Höhepunkt erreichte die Säuberungswelle nach dem Mord am Leningrader Parteisekretär Sergej Kirov am 1. Dezember 1934 in Leningrad.
Die Repressionen, die Mitte der 30er Jahre für kurze Zeit nachließen, um dann mit erneuter Macht im Umfeld der Moskauer Schauprozesse 1938/38 einzusetzen, betrafen alle der Partei und Staatsmacht, vor allem Stalin selbst unliebsamen Personen. Besonders gefährdet waren Menschen, die in der Vergangenheit in irgendeinen Konflikt mit staatlichen oder Parteiinstanzen geraten waren oder den Unmut des Generalsekretärs Stalin auf sich gezogen hatten.
Bis1953 durchliefen so unterschiedlichen Angaben zufolge zwischen 17 und 40 Millionen Menschen den Gulag.
Begleitet und vorbereitet wurden die Repressionsmaßnahmen der 30er Jahre durch den intensiven Aufbau und die Propaganda eines Feindbildes, das in den Medien dafür benutzt wurde, alle Fehlleistungen des sowjetischen System zu personalisieren und sie damit den selbstkonstruierten "Feinden" zuzuschreiben. An der Plausibilisierung dieser Feindbilder beteiligte sich nicht unwesentlich auch das sowjetische Plakat, das mit seiner Agitation gegen Kulaken, "Schädlinge" und "Volksfeinde" eine wichtige meinungsbildende Funktion innehatte.