1921. Soziale Brennpunkte (Hunger, Armut, Obdachlosigkeit)

Der Niedergang der Produktion, die als Folge des Bürgerkriegs nur noch ein Siebtel des Vorkriegsniveaus aufwies, und das Auftreten von Mißernten riefen 1920/21 vor allem in Südrußland verheerende Hungersnöte hervor, denen 4 - 5 Millionen Menschen zum Opfer fielen.
Die zerstörte Industrie hinterließ eine Vielzahl von Arbeitslosen; Bettler und Obdachlose bestimmte das Bild in den Städten und auf dem Lande. Die überstürzt sozialisierte und zentralisierte Wirtschaft hatte die Versorgungsnot der Bevölkerung verschärft, anstatt sie zu lindern oder gar zu beseitigen. Hunger und Seuchen breiteten sich als Folge von Not und Unterversorgung aus. 1922 waren rund 7 - 9 Millionen Kinder nach Erstem Weltkrieg und Bürgerkrieg ohne Eltern. In Banden organisiert, zogen diese sogenannten "besprizornye" ("Fürsorgelose"), Kinder und Jugendliche, plündernd durch Städte und ländliche Gebiete und stellten damit eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die soziale Ordnung dar.
Millionen von Menschen hatten in den Wirren von Revolution und Gegenrevolution Haus und Hof verloren und waren obdachlos geworden. Diese Massen drängten vor allem in die russischen Großstädte, die diesem Ansturm jedoch in keiner Weise gewachsen waren. Es fehlte an Wohnraum und Versorgungseinrichtungen, auch Lebensmittel waren als Folge der Requisitionspolitik mehr als knapp.
Der Enthusiasmus, den die Partei nach der Revolution verbreitet hatte, wich einer tiefen Resignation und auch offenem Protest, der sich in Form von Bauernaufständen äußerte. Losungen wie 'Räte ohne Sowjets' kamen auf. Der 'Kronstadter Aufstand', an dem sich etwa 15.000 Soldaten, Matrosen und Zivilisten beteiligten, zeigte Ende Februar 1921 eindrucksvoll, wie weit die Entfremdung zwischen Revolution und Bevölkerung bereits fortgeschritten war.
Die Aufstände wurden allesamt blutig unterdrückt, ihre Anführer verhaftet und erschossen. Das von diesen Aufständen ausgehende Signal war jedoch eindeutig: die soziale Lage und Versorgung der Bevölkerung mußte kurzfristig verbessert werden, wollte man ein Scheitern der revolutionären Veränderungen verhindern.
Die durch Lenin initiierte Neue Ökonomische Politik sollte hier konkret Abhilfe schaffen. Auch durch sozial- und bildungspolitische Maßnahmen (z.B. durch den Aufbau von Arbeitskolonien zur Resozialisierung Jugendlicher, die Abschaffung des Analphabetentums) versuchte man, die soziale Ordnung wieder herzustellen.