1924. Wladimir Iljitsch Lenin und das Leninbild

Lenin, der mit bürgerlichem Namen Vladimir Il'ič Uljanov hieß, wurde am 22. April 1870 in Simbirsk an der Wolga geboren. Sein Vater war Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften, seine Mutter entstammte einer deutschen Kaufmannsfamilie.
Lenins älterer Bruder Aleksandr studierte in St. Petersburg und wurde als Mitglied radikal-revolutionärer Kreise, die ein Attentat auf Zar Alexander III. vorbereiteten, im Jahr 1887 hingerichtet. Lenin absolvierte das Gymnasium in Simbirsk und nahm in Kazan' ein Studium in Rechtswissenschaften auf. Während dieser Zeit beschäftigte er sich erstmals mit marxistischen Schriften, wobei sein besonderes Interesse dem städtischen Industrieproletariat galt.
Nach seiner Übersiedlung nach St. Petersburg und Auslandsaufenthalten in Berlin und in der Schweiz, wo er den emigrierten Sozialistenführer Plechanov kennenlernte, wurde er wegen illegaler Herausgabe einer sozialistischen Zeitung verhaftet und nach Ostsibirien verbannt, wo einige seiner bedeutendsten Schriften entstanden. Im Jahr 1900 kehrte er aus der Verbannung zurück und emigrierte nach Westeuropa.
Auf ihrem II. Parteitag (1903) in Brüssel spaltete sich die Russische Sozialdemokratische Arbeiterpartei, und Lenin verschaffte sich mit seinen radikalen und zentralistisch orientierten Anhängern eine Mehrheit, die sich fortan dementsprechend 'Bolschewiki' (Mehrheitsfraktion) nannten, während der gemäßigte, eher föderalistisch ausgerichtete Flügel als 'Menschewiki' bezeichnet wurde. Dies darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß die sogenannten Menschewiki in der Partei die eindeutig größere Gruppe ausmachten und die von Lenin geführten Bolschewiki letztendlich die Minderheit darstellten.
Im April 1917 kehrte Lenin aus Zürich nach Petrograd zurück und bereitete zusammen mit Lev Trockij, der sich erst spät auf die Seite Lenins gestellt hatte, gegen den Widerstand des Exekutivkomitees des Petrograder Sowjets den Oktoberumsturz vor. Von November 1917 bis zu seinem Tod (21. Januar 1924) führte Lenin die sowjetische Regierung als Vorsitzender des Rates der Volkskomissare an.
Das Leninbild wandelte sich im Laufe der Jahrzehnte nach der Oktoberrevolution mehrfach in Abhängigkeit von seiner politischen Funktion. Die Kanonisierung Lenins setzt erst nach seinem Tod im Januar 1924 ein.
Wurde Lenin anfangs in Filmen und auf Transparenten als 'kämpferischer' und 'visionärer Revolutionär' dargestellt - durchaus auch mit humoristischen und satirischen Merkmalen versehen -, entsprach diese Darstellung später nicht mehr den Notwendigkeiten einer bereits etablierten Macht. Die Kanonisierung Lenins zeigte bereits in den 20er Jahren ein idealtypisches Bild eines alleinigen, aus der Masse der Revolutionäre hervorgehobenen, wegweisenden Staatslenkers.
Mit dem aufkommenden Stalinkult wird Lenin in den 30er Jahren zum emblematischen Inbegriff von Legitimation und politisch-ideologischer Traditionsstiftung. Gleichsam aus seiner ideologischen 'Gottvaterschaft' leitete man den Anspruch auf die eigene Machtausübung ab. Im Bezug auf die Figur Lenins manifestierte sich eine Selbstvergewisserung, daß man politisch und ideologisch 'auf dem richtigen Wege war': Lenin wurde ab 1924 damit zur politischen Ikone, vielfach reproduziert auf Bannern, Aufdrucken, sogar als Schattenriß im Hintergrund.
Der reale Mensch Vladimir Lenin trat gegenüber all diesen Formen der Medialisierung in den Hintergrund. Erst Anfang der 70er Jahre, zu Lenins 100. Geburtstag, begann man, den eigentlichen Menschen Lenin wiederzuentdecken, allerdings sehr wohl unter der Perspektive einer propadandistisch-medialen Verwertbarkeit dieses scheinbar 'privaten' Leninbildes.